
In der Corona-Krise zeigt sich gerade wie unter einem Vergrößerungsglas, dass die soziale Herkunft nach wie vor den Bildungserfolg junger Menschen bestimmt. Die Corona-Pandemie und die zu Ihrer Eindämmung vorgenommenen Schulschließungen und die Umstellung auf E-Learning und digitalen Unterricht, die Gewährleistung betrieblicher Ausbildungen und verschobene Semesterstarts stellen Schülerinnen und Schüler, Auszubildende sowie Studierende vor besondere Schwierigkeiten. Dabei werden bereits lange bestehende Ungleichheiten im Bildungszugang offensichtlich, die ungleiche Chancen im Bildungsverlauf verstärken und zementieren könnten. Schon jetzt hängt der Bildungserfolg in Deutschland stark von der sozialen Herkunft der Schüler und Schülerinnen ab. Wer aus einer armen Familie kommt, hat deutlich geringere Chancen, auf ein Gymnasium zu kommen. Und noch geringere, es auf die Uni zu schaffen. Dies belegt der Hochschul-Bildungs-Report, eine Studie des Stifterverbands und der Unternehmensberatung McKinsey. Von 100 Kindern aus Akademikerfamilien beginnen 74 ein Studium; von 100 Kindern aus Familien ohne studierte Eltern sind es dagegen nur 21. An die soziale und wirtschaftliche Lage von Studierenden erinnert uns darüber hinaus alle drei bis vier Jahre die Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks (DSW). Nach den Ergebnissen der letzten Sozialerhebung werden 86% der Studierenden finanziell von ihren Eltern unterstützt, im Schnitt mit 541 Euro, 61% sind erwerbstätig und verdienen damit durchschnittlich 384 Euro. Gerade Letzteres ist eine wichtige finanzielle Säule für die Mehrheit der Studierenden, die in der Zeit der Corona-Pandemie auf nicht absehbare Zeit wegbricht, weil vor allem Gastronomie, Einzelhandel und Lehre - klassische Bereiche für Studentenjobs - geschlossen sind. Neben dem eigentlichen Studium stehen Studierende damit auch in Bezug auf die Finanzierung ihres Lebensunterhalts vor unsicheren Zeiten. Im Saarland hat die Landesregierung den Hochschulen zwar zusätzliches Geld für Überbrückungshilfen bereitgestellt. Studierende, die etwa ihren Nebenjob verloren haben und in Not geraten sind können dadurch finanzielle Unterstützung erhalten. Betroffene können hier zwar direkte Finanzhilfen bekommen, dennoch hat die Unterstützung eher Soforthilfe-Charakter. Denn es bleibt bei einer Einmalzahlung. Die Überbrückungshilfen wurden zudem nur für diejenigen eingerichtet, die pandemiebedingt in finanzielle Notlage geraten sind und keinen Anspruch auf BAföG haben. Inwiefern Studierende vor einer weiterhin ungewissen Arbeitsmarktlage für Nebenjobs ihr Studium auch noch für eine längere Zeit finanziell stemmen können bleibt weiter ungewiss. Bildungsaufsteiger aus Familien ohne studierte Eltern und damit oft ohne Netz und doppelten Boden, treffen die finanziellen Einbußen besonders hart.
Nach der Sozialerhebung geben 18% der Studierenden an BAföG zu erhalten, durchschnittlich 435 Euro im Monat; 79% der Geförderten geben an ohne BAföG nicht studieren zu können. Bei dieser zweiten wichtigen finanziellen Säule gibt es aber zumindest Fortschritte: BAföG wird aktuell normal weitergezahlt. Außerdem wurden eine Regelung zur Verlängerung der Studienzeit und die Anrechnungsmodalitäten bei der Beschäftigung in systemrelevanten Bereichen bereits von der Bundesregierung angepasst. Zurück bleiben könnten aber all denjenigen, die kein BAföG erhalten und wo auch keine Eltern da sind, die finanziell aushelfen können. Schnelle und unbürokratische Hilfe könnte ein Gesetzentwurf über zinsfreie Darlehen für Studierende zur Sicherung des Lebensunterhaltes schaffen, der dem Deutschen Bundestag vorliegt. Für Bildungsaufsteiger wäre dies aber dennoch eine, wenn auch erst mal in die Zukunft geschobene zusätzliche finanzielle Belastung, die sich beim späteren Berufseinstieg und der Suche nach einer Stelle noch als Bürde erweisen könnte. Der Generalsekretär des Deutschen Studierendenwerkes schlägt hingegen ein „Not-BAföG“ für max. 6 Monate vor, also eine Mischung aus Zuschuss und Darlehen. Der Vize-Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Andreas Keller schlägt ferner eine unbürokratische Soforthilfe aus einem Studienfonds vor. Die Gelder sollen als Zuschuss fließen, der nicht zurückgezahlt werden muss.
Nicht nur beim Studium, auch mit Blick auf die berufliche Ausbildung können sich in der aktuellen Situation besondere Herausforderungen ergeben. Auszubildenden gegenüber kann zwar in der Regel keine Kurzarbeit angeordnet werden. Der Ausbildungsbetrieb ist dazu verpflichtet, alle Mittel auszuschöpfen, um die Ausbildung zu gewährleisten. Das heißt etwa den Lehrplan umzustellen, andere Lerninhalte vorzuziehen, die Azubis in eine andere Abteilung zu versetzen oder besondere Ausbildungsveranstaltungen durchzuführen.
Erst wenn all diese Möglichkeiten ausgeschöpft sind, kann Kurzarbeit als letztes Mittel zur Aufrechterhaltung der Ausbildungspflicht auch für Azubis in Frage kommen. Nach dem Berufsbildungsgesetz besteht dann für mindestens 6 Wochen der Anspruch auf Zahlung der vollen Ausbildungsvergütung. Kurzarbeit rechtfertigt zwar keine Kündigung durch den Ausbildungsbetrieb. Kommt der Betrieb aber über längere Zeit komplett zum Erliegen, kann die Ausbildung aufgrund fehlender Arbeit nicht mehr gewährleistet werden. Entfällt dadurch die Ausbildungseignung des Betriebs, ist die Kündigung möglich. Die Ausbilder sind in diesem Fall aber dazu verpflichtet, gemeinsam mit der Agentur für Arbeit einen neuen Ausbildungsbetrieb für die Azubis zu suchen. Nichtsdestotrotz könnten auch hierbei Lebenschancen junger Menschen auf der Strecke bleiben. Vor allem jungen Menschen aus sozial und finanziell schwierigen Verhältnissen drohen durch unverschuldete Brüche im (Aus-)bildungsverlauf später den richtigen Anschluss zu verpassen. Viele Jungen Menschen sind bei ihrem Berufseinstieg nach der Ausbildung oder dem Studium erst mal befristet beschäftigt. Pandemiebedingt wird es jedoch vielfach dazu kommen, dass befristete Verträge auslaufen und nicht verlängert werden. Auch Probezeiten dürften dazu genutzt werden, gerade zustande gekommenen Arbeitsverhältnisse wieder aufzulösen.
Blickt man auf die Schule sieht gibt es nicht weniger viele Probleme. Vor allem bei der materiellen Ausstattung und der individuellen Unterstützung und Betreuung durch die Eltern in Zeiten von Home-Schooling zeigen sich qualitative Unterschiede. Viele Lehrerinnen und Lehrer haben in den letzten Wochen in Folge der Schulschließungen auf E-Learning umgestellt. Auch wenn die Erfahrungen der knapp 11 Millionen Schülerinnen und Schüler im Land beim Home-¬Schooling stark auseinandergehen dürften, lässt sich eines schon jetzt mit Bestimmtheit sagen: Der digitale Unterricht bevorzugt tendenziell die ohnehin Privilegierten und bringt Kinder aus ärmeren Familien in zusätzliche Bedrängnis. Hier zeigt sich ein Teufelskreislauf: Kinder, deren Eltern einen einfachen Bildungsabschluss haben, sind besonders stark armutsgefährdet. Den sozialen Aufstieg schaffen sie oft ohnehin selten, weil sie im Bildungssystem mangels Ressourcen eher auf der Strecke bleiben. Das E-Learning wird die soziale Ungleichheit noch verstärken. Wird der Unterricht digitaler, wird er auch ein Stück weit exklusiver. Denn viele Familien haben zu Hause weder dauerhaften Internetzugang, noch Laptop oder Tablet, an denen ihre Kinder arbeiten können. Zudem können viele Eltern ihre Kinder zu Hause nicht ausreichend anleiten und in der Weise qualitativ betreuen, wie es vielleicht bessergestellte Familien gewährleisten können. Wenn aber nicht für alle der gleiche Zugang zu digitalen Lernmitteln gewährleistet werden kann, sind gerade Kinder aus finanziell und sozial schwierigen Verhältnissen bloßgestellt. Auf die längere Sicht dürften für Viele mit den Schulschließungen tatsächlich Nachteile eingetreten sein. Ob diese im nächsten Schuljahr im Regelunterricht behoben werden können, gleich über eine freiwillige Wiederholung nachgedacht werden muss oder für das nächste Schuljahr innerschulische Förderangebote entwickelt werden, um diese Schülerinnen und Schüler aufzufangen, eines dürfte mit Blick auf die Bildungschancen schon jetzt feststehen: Corona offenbart wie unter einem Vergrößerungsglas dass die soziale Herkunft nach wie vor den Bildungserfolg junger Menschen bestimmt - in der Schule, in der Ausbildung und im Studium. Und das steht exemplarisch für zu geringe Aufstiegschancen. Über die Corona-Zeit hinaus sollte daher langfristig über eine Art "Aufstiegspakt" nachgedacht werden. Den Übergang von der Schule in die Berufsausbildung oder das Studium erleichtern und damit sozialer Ungleichheit im Bildungsverlauf begegnen. Das könnten Elemente eines Aufstiegspakts sein.
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Thomas W. Schmitt
Landesgeschäftsführer CDA Saar
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